Doch als das Bild abgeschlossen wurde, scheiterte Gauguins Selbstmordversuch, und er erholte sich von seiner Krise, die durch den Tod seiner Tochter ausgelöst wurde. Offensichtlich hatte ihm die intensive Beschäftigung mit den Sinnfragen, woher wir kommen und wohin wir gehen, geholfen, diesen tragischen Tod zu verarbeiten. Von rechts nach links stellt das Bild den unaufhaltsamen Fluss des Lebens dar, vom Neugeborenen bis zum Greis, und in der Mitte dieser Pole die Selbsterkenntnis als Höhepunkt des Lebens. Hier eine Frau mit erhobenen Armen eine Frucht greifend. Immanuel Kant meinte zu einer ähnlichen Sinnfrage, dem Menschen bliebe die Antwort verborgen, denn über all das, was jenseits von Zeit und Raum steht, könnten wir keine Erkenntnis gewinnen. Anders in der Astrologie. Ein Horoskop impliziert in seiner Berechnung die zeitliche und räumliche Unendlichkeit des Kosmos. Die Hauptachsen (AC-DC und IC-MC) im Horoskop beinhalten in der Tat jene zeitlichen und räumlichen Dimensionen, die über die Grenzen unseres Verstandes im kantischen Sinn hinausgehen. Sinnfragen nach dem Woher und bilden für uns Astrologen keinen Widerspruch zu unserer Erkenntnisfähigkeit. Auch geht es uns nicht darum, „alles zu verstehen“, sondern in eine Beziehung zu uns selbst und den kosmischen Kräften zu treten. Dazu ist mehr notwendig als die reine Vernunft. In unsere Arbeit beziehen wir Gefühle, Intuition und Lebenserfahrung bewusst mit ein und fürchten uns nicht vor unserer Subjektivität. Vielmehr gehen wird davon aus, dass wir die Subjektivität ohnehin niemals vollständig ausschalten könnten. Also ist es klüger, sich darin zu schulen, mit ihr zu arbeiten. Fragen wir, woher wir kommen und wohin wir gehen, können wir das zwar astrologisch nicht erschöpfend beantworten. Diese Frage jedoch zu stellen, ist für die Selbsterkenntnis und die Meisterung von Krisen unabdingbar. Der Künstler Gauguin tat in seiner Lebenskrise instinktiv genau das Richtige: Er versuchte, diesen Fragen näher zu kommen und kam aus seiner lebensgefährlichen Depression heraus.
Die Achse Aszendent – Deszendent ist für Fragen der Selbsterkenntnis unentbehrlich. Denn ohne den anderen (Deszendent) kann das Ich (Aszendent) sich selbst nicht wahrnehmen. Dies war das Thema der ersten Studie, die sich mit der Selbst- bzw. Fremdwahrnehmung befasste. Diese nächste Studie konzentriert sich nun auf die zweite Achse des Horoskops, vom Imum coeli, der Himmelstiefe, zum Medium coeli, der Himmelsmitte. Die Studie befasst sich mit der Frage, woher wir kommen (IC) und wo es uns hinzieht (MC).
Die Spitze des IV. Hauses, in der Nachthälfte der Radix, entspricht kosmisch dem tiefsten Punkt des Horoskops. Das IV. Haus zeigt unsere Herkunft und Wurzel, also das, was uns in die Wiege gelegt wurde. Hier können wir mit unserem Unbewussten in Kontakt kommen. Nachts helfen uns die Träume, Unbewusstes zu verarbeiten und neue Kräfte für den kommenden Tag zu sammeln. Das IV. Haus zeigt, was wir brauchen, um uns heimisch und gut aufgehoben zu fühlen. Es zeigt auch, wie wir unsere Nachkommen am besten versorgen können.
Die Spitze des X. Hauses befindet sich in der Taghälfte der Radix und zeigt kosmisch unseren höchsten Punkt an. Das X. Haus steht für den Beruf und die Berufung zugleich. Es zeigt, wohin „es uns ruft“. Hier können wir ablesen, wie wir uns in der äußeren Welt präsentieren und einen Platz in ihr einnehmen. Wir erfahrene aber nicht nur, wie unsere berufliche Karriere verläuft, sondern auch, welche Früchte unserer Arbeit wir der Welt schenken können, auf dass sie eine bessere werden kann.
(1) Pola Gauguin: Mein Vater Paul Gauguin, Berlin 1957 (Briefzitat, S. 213 f.)
Wie in der ersten Studie wurden Probanden gesucht, deren Horoskop durch Planetenbesetzung markante Konstellationen in diesen Häusern aufweisen. Es haben sich viele Interessenten gemeldet, sodass wir aktuell keine weitere Probanden benötigen.